Keramikvielschicht-Chipkondensatoren | Kapazitätsverlust durch DC-Bias bei MLCCs

21.10.2019 Know-How

Dank extremer Weiterentwicklungen kommen MLCCs in immer mehr Anwendungen zum Einsatz. In den Designs wird jedoch eins häufig vernachlässigt: Das DC-Bias-Verhalten, das die Kapazität von Keramikkondensatoren der Klasse 2 beeinflusst. Dies kann dazu führen, dass die Kapazität den Toleranzbereich der Applikation aus scheinbar unerklärlichen Gründen überschreitet und technische Probleme verursacht. Doch es gibt Möglichkeiten, dem entgegen zu wirken.

Keramikvielschicht-Chipkondensatoren (engl. Multi Layer Ceramic Capacitor, MLCC) zählen heute zu der am meisten verbreiteten Bauform unter den Keramikkondensatoren. Nicht ohne Grund: Sie wurden deutlich optimiert hinsichtlich ihrer maximalen Nominal- C-Werte und auch immer kleinerer ESR-Werte (Ersatz-Serien-Widerstand). Dies geht aber einher mit auch immer größeren Driften, vor allem gegenüber DC-Spannung, Temperatur, und Zeit (Bild 1).
Die Keramikkondensatoren der Klasse 2 haben inzwischen so hohe Kapazitäten erreicht, was immer wieder zu Fehleinschätzungen ihrer tatsächlichen Kapazität im Betrieb führt. Oft ist nicht bekannt, wie sich die Bauelemente in der realen Applikation verhalten und warum sie so stark variieren, sobald Spannung anliegt. Ein wichtiger elektrischer Parameter, der hierfür verantwortlich ist, ist der DC-Bias.

DC-Bias-Effekt
Am besten lässt sich der DC-Bias-Effekt im Labor demonstrieren. TDK nutzte für die Tests einen 3216 X7R 1µF Kondensator mit einer Nennspannung von 25V und verband ihn mit einem LCR-Meter. Das zeigte bei 0V 1µF an. Legte man 25V an, war ein Kapazitätsabfall von über 40 Prozent gegenüber den Nennkapazitätswerten zu erkennen.
Der Grund hierfür liegt in der Struktur der Keramikkondensatoren: Ihr dielektrisches Material wird aus Bariumtitanat, einem ferromagnetischen Material, gewonnen, dessen Moleküle dem Aufbau Barium2+, Sauerstoff2-, Titan4+ folgen. Dabei befindet sich Titan in der Mitte. Diese Molekülstruktur besitzt oberhalb der Curie-Temperatur (ca. +125°C) eine kubische Form und wechselt unterhalb der Curie-Temperatur in eine tetragonale Form. Dies erzeugt eine Polarität, die als Dipol bezeichnet wird, wobei eine Seite der Achse positiver und eine negativer als die andere ist.
Ohne das Anlegen einer Gleichspannung ist kein elektrisches Feld vorhanden und die Dipole ordnen sich zufällig in der gesamten Kristallstruktur an (spontane Polarisation). Währenddessen ist die Dielektrizitätskonstante hoch, wodurch sich auch eine hohe Kapazität ergibt.
Wird nun eine niedrige Gleichspannung angelegt, beeinflusst das elektrische Feld aufgrund der Polarisation einige der Dipole. Diese beginnen sich parallel zum elektrischen Feld auszurichten, wodurch sich die Kapazität verringert.
Wird wiederum eine höhere Gleichspannung angelegt, richten sich mehrere Dipole parallel zum elektrischen Feld aus und die Kapazität nimmt kontinuierlich ab. Bei einem Anlegen der Nennspannung an den Kondensator kann das Kapazitätsniveau um bis zu 50% und mehr von der Nennkapazität abfallen (Bild 2).
Dass sich der DC-Bias auf die Kapazität von Klasse-2-Keramikkondensatoren auswirkt, lässt sich nicht vermeiden. Es gibt jedoch Möglichkeiten damit umzugehen.

Schaltungsentwürfe verbessern
Der Vergleich mehrerer DC-Bias-Kurven von Kondensatoren der Klasse 2 zeigt, welche Möglichkeiten es gibt, den Effekt in der Applikation zu vermindern:
Bei einem Kondensator mit 1nF und einer Nennspannung von 16V nimmt die Kapazität bei 10V um fast 9% ab, bei 16V sinkt die Kapazität um 21%. Dies könnte für einige Designs bereits inakzeptabel sein. Beim gleichen Kondensator mit einer Nennspannung von 25V nimmt die Kapazität bei 10V nur um 2% ab.
Das liegt daran, dass die dielektrischen Schichten in Keramikkondensatoren bei höherer Nennspannung dicker sind. Ein dickeres Dielektrikum bedeutet ein schwächeres elektrisches Feld, das weniger Dipole beeinflusst.
So beträgt die Kapazitätsänderung bei einem 470pF-Kondensator in derselben Gehäusegröße bei 10V lediglich 0,6%. Wenn es das Design erlaubt, zwei dieser Kondensatoren parallel zu schalten, wäre das eine mögliche Lösung für den DC-Bias-Effekt. Denn niedrigere Kapazitätswerte ermöglichen dickere dielektrische Schichten.
Manchmal werden Kondensatoren mit demselben Kapazitätswert auch in einem größeren Gehäuse angeboten. Auch sie haben meist dickere dielektrische Schichten und damit eine besseres DC-Bias-Verhalten.

Praxisbeispiel: DC-Bias nicht berücksichtigt
Was passieren kann, wenn der DC-Bias in einer Applikation nicht berücksichtigt wurde, zeigt ein Fall aus der Praxis: Ein Kunde nutzte einen 0805 4,7µF X5R Keramikvielschichtkondensator mit 25V und einer Nominal-Toleranz von 10% sowie Mess-Parametern von 1kHz bei 1Veff. Er reklamierte, die Bauteile wären defekt, da ihr C-Wert bei 14,5V nur bei ca. 1µF lag und nicht wie beim Muster (Golden Sample) bei ca. 1,5µF. Dadurch entstand  bei 15V ein Ripplesignal, was wiederum zu einer Unterspannung an der IPM-Treiberstromversorgung und einer schlechten MOSFET-Kommutierung führte, die letztlich in einem Überstrom an den Motorwicklungen resultierte.
Als Ursache stellte sich heraus, dass der Kondensator-Hersteller zwei verschiedene Rohmaterialmischungen verwendet hatte, um die Bereitstellungssicherheit aufrecht zu erhalten. Bei 14,5V zeigte die eine Mischung Werte von ca. 1µF, die andere ca. 1,5µF, wobei beide die sog. Characteristic Data (Bild 3 und 4) erfüllen. Der Kunde stützte sich mit seinem Muster auf die Bauteile mit den höheren Werten ohne der Ursache für die Differenz auf den Grund zu gehen oder das entsprechende generelle Diagramm zu berücksichtigen. Der Schwellwert in der Applikation lag bei ca. 1,25µF. Anfangs hatte der Kunde zufällig die Bauteile mit niedrigerem DC-Bias erhalten. Als er schließlich jene mit dem ausgeprägterem DC-Bias erhielt, äußerte sich dies im Fehlverhalten der Schaltung.

Fazit
Das Beispiel zeigt, dass es insbesondere in Verknappungssituationen entscheidend ist, die realen Anforderungen der einzelnen Funktionen in einer Applikation und das Verhalten der MLCC zu kennen und zu berücksichtigen. Dabei gilt es zu beachten: Welche tatsächliche Spannung ist erforderlich? Welche Temperaturen sind zu in der Praxis berücksichtigen? Wo liegen die Schwellwerte des wirksamen Kapazitätswertes? Im Zweifelsfall sollten Entwickler sich absichern und den Rat des Kondensator-Herstellers oder des Distributors einholen, insbesondere bei relativ deutlichen Abweichungen von den charakteristischen Daten und Diagrammen, da diese im Vergleich zu Spezifikationsdaten nicht garantiert sind.
Vor allem dann empfiehlt es sich, anhand der DC-Bias-Kurve des Kondensators im Vorfeld zu prüfen, ob die Kapazität bei der anliegenden Betriebsspannung akzeptabel ist. Ist dies nicht der Fall, lässt sich der Kapazitätsverlust auf drei Arten minimieren:  

  1. durch Parallelschaltung von zwei oder mehr Kondensatoren mit niedrigerem Kapazitätswert
  2. durch die Wahl eines Kondensators mit einer höheren Nennspannung
  3. durch einen Kondensator mit größerem Gehäuse.

Alle drei Methoden haben meistens dickere dielektrische Schichten, die dazu beitragen, den Kapazitätsverlust aufgrund von DC-Bias zu minimieren. So lassen sich technische Probleme vermeiden und Entwickler haben mehr Alternativen zur Wahl.

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