Was macht Rutronik System Solutions zu etwas Neuem für Rutronik?
Stephan Menze: Wir kommen ja aus dem klassischen Bauteilevertrieb. Das heißt, dass alles – vom Produkt selbst über den Vertrieb und Support bis zu den Logistikprozessen – auf der Produktebene stattfindet. Mit Rutronik System Solutions bewegen wir uns auf der System- bzw. Lösungsebene, gehen also weit über die Produkte hinaus. Das hat teils fundamentale Auswirkungen.
Welche sind das?
Menze: Es beginnt damit, dass wir selbst Boards und hochinnovative Lösungen entwickeln. Das bedeutet Entwicklungs- und Forschungsarbeit, wie sie nicht nur für Rutronik, sondern für die ganze Distribution absolut unüblich ist. Wenn die Systeme dann soweit sind, dass sie in den Vertrieb gehen, läuft der Prozess in der Regel genau andersrum als bisher: Er geht nicht zwingend von der Anfrage eines Kunden aus, sondern meist gehen wir auf den Kunden zu und stellen unsere Lösungen vor. Deshalb haben wir in den letzten zwei Jahren nicht nur unglaublich viel Entwicklungsarbeit geleistet, sondern auch neue Strukturen und Prozesse aufgebaut. Als ich 2015 bei Rutronik angefangen habe, war das noch eine ganz andere Welt. Für die Kolleginnen und Kollegen im Vertrieb bedeutet das neue Aufgaben, die mit komplexen, hoch erklärungsbedürftigen Systemen verbunden sind. Die interne Kommunikation und Schulungen sind deshalb ganz wichtig. Aktuell statten wir sukzessive alle unsere Vertriebsbüros mit Koffern aus, in denen sich unser gesamtes Board-Portfolio befindet und schulen die Vertriebsteams. Dabei starten wir in der DACH-Region, nach und nach folgen die anderen europäischen Länder sowie Asien und die USA. Außerdem haben wir eine interne Smartphone-App entwickelt, damit wir Kunden unsere Lösungen vor Ort in Aktion vorführen können, zum Beispiel anhand von Live-Messungen.
Wie sind die Rückmeldungen der Kunden bisher ausgefallen?
Menze: Von vielen Kunden – aber auch von Herstellern, denen wir unsere Entwicklungen präsentieren – hören wir sowas wie: ‚So intensiv, wie ihr das macht, macht das sonst Keiner.‘ Auf der Basis von Hersteller-Boards etwas zu entwickeln, ist nicht unüblich in der Distribution; ganz eigene Lösungen zu kreieren schon. Das Feedback zeigt uns, dass wir den richtigen Weg gewählt haben. Infineon ist sogar so überzeugt von unseren Boards, dass sie diese in ihre Entwicklungssoftware integriert haben. Das heißt, Kunden können die Rutronik-Boards und unsere Beispiel-Software direkt in der Infineon-Entwicklungssoftware auswählen. Normalerweise ist es ja umgekehrt, da gibt es die Infineon-Produkte bei Rutronik. Der Hersteller hat den Mehrwert unserer Lösungen also klar erkannt.
Und worin besteht der?
Menze: Vor allem in einer erheblich verkürzten Time-to-Market und einem geringeren Invest in die Vorentwicklung seitens des Kunden. Denn ein Großteil der Entwicklungsarbeit hat Rutronik schon übernommen. Wie weit das geht, hängt davon ab, ob es eine Lösung auf dem Design Level, dem Advanced Design Level oder dem Research Level ist. Vor allem auf den oberen Levels ist es unser Ziel, Lösungen zu kreieren, die echte Pain Points unserer Kunden lösen.
Andreas Mangler: Das Besondere dabei ist, dass wir immer vom Endkunden her denken, also vom Kunden unserer Kunden. Indem wir diesen nächsten Schritt in der Wertschöpfungskette gehen, sehen unsere Kunden – also OEMs und Markenartikler – auch einen großen Mehrwert für sich. Unsere Entwicklungen auf Research-Ebene sind Next-Level Hightech-Produkte, bei denen auch die Ansprechpartner großer Unternehmen ins Staunen geraten.
Nennen Sie uns doch ein paar Beispiele solcher Lösungen.
Menze: Das ist zum Beispiel HESS, unser hybrides Energiespeichersystem oder die elektronische Nase, mit der wir mit Hilfe von KI konkrete Stoffe detektieren. Wir können damit also beispielsweise Kaffeesorten unterscheiden.
In welchem Stadium befinden sich diese Projekte aktuell?
Mangler: Wir haben sie bereits patentieren lassen, von beiden sind jetzt auch Prototypen verfügbar, die schon von sehr großen, namhaften Pilotkunden evaluiert werden. Nach jahrelanger Entwicklungsarbeit ist das ein Riesen-Meilenstein. Auch wenn nicht jeder Pilotkunde tatsächlich ein Projekt sofort umsetzen wird, bin ich mir sicher, dass wir in ein oder zwei Jahren über einige konkrete Dinge sprechen werden.
Wie geht es dann weiter, wenn der Kunde das Projekt realisieren möchte?
Menze: Um die Rutronik-Patente zu nutzen, muss er sich vertraglich dazu verpflichten, die Key-Komponenten des Boards für einen gewissen Zeitraum ausschließlich über Rutronik zu beziehen. Damit erhält der Kunde Zugriff auf das Kern-Know-how und die Freiheit, die patentierte Technologie zu nutzen, außerdem unterstützen wir ihn bei der Umsetzung seiner konkreten Anwendung. Dieser Support geht weit über die Produkte hinaus und die Kunden profitieren auch von den Erfahrungen, die unser Team bei der Entwicklung schon gemacht hat.
Ist damit die Forschungsarbeit erstmal abgeschlossen?
Mangler: Nein, wir treiben mehrere Projekte parallel voran. Zum Beispiel bei der Wespenscheuche haben die Tests in den Laboren unserer Partneruniversitäten noch nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert, sodass wir das Projekt wieder in die Forschung und interne Vorentwicklung gegeben haben. Unser Ziel ist es, alle Level-4-Projekte an den Punkt zu bringen, an dem wir Kunden konkrete Mehrwerte bieten können. Im Forschungsbereich, in dem wir hier arbeiten, ist das ja nicht immer der Fall.
Was meinen Sie, wenn Sie sagen „zurück in die Forschung“?
Mangler: Wir arbeiten schon einige Jahre sehr eng mit Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen. Dadurch haben wir Verbindungen zu absoluten Top-Experten in unterschiedlichen Fachbereichen, mit denen wir uns auf höchstem Niveau austauschen. Unsere Aufgabe besteht darin, einerseits das Anforderungsprofil der Industrie in die Forschung zu geben, sodass Lösungen entstehen, die Unternehmen einen echten Vorsprung am Markt geben. Andererseits setzen wir das Forschungs-Know-how ins technisch Machbare um. Wir schlagen also die Brücke zwischen Forschung und Industrie. Und obwohl dabei Next-Level Hightech-Lösungen entstehen, sind es keine Boards voller ,goldener Schrauben‘, sondern wir nutzen ganz bewusst sofort verfügbare Bauteile unserer Franchisepartner.
Was tut sich auf den anderen Ebenen von Rutronik System Solutions?
Menze: Auf dem Level 3 haben wir unsere Base Boards. Das RDK2 haben wir schon 2022 releast, 2023 dann das RDK3 und RDK4. Auch hier sind wir also einen großen Schritt vorangekommen und haben unser Portfolio vorerst komplett. Im Moment konzentrieren wir uns auf das Level 2, das heißt, wir kombinieren Boards der Hersteller mit unseren und konstruieren so konkrete Beispielapplikationen.
Was für Applikationen sind das?
Menze: Ein Beispiel ist die Abstandmessung. Dafür verbinden wir ein Radarmodul von Infineon oder Nisshinbo, einen Time-of-Flight- (TOF) Sensor von ams OSRAM oder – für eine einfache Anwesenheitserkennung – einen Infrarot-Sensor von Vishay mit unseren Base Boards. So kann der Kunde sofort mehrere Lösungen testen, die sich hinsichtlich Präzision und Preis unterscheiden – und das ohne Aufwand mit der Entwicklungsumgebung. Wenn das Hersteller-Board ein Arduino-Interface hat, das wir für die RDKs auch nutzen, lässt es sich einfach auf das RDK2, 3 oder 4 aufstecken. Die Entwicklungssoftware bekommt der Kunden auch von Rutronik. So kreieren wir nach und nach immer mehr konkrete Anwendungsfälle auf Basis unserer Boards, für die wir auch die entsprechenden User Guides, App Notes usw. entwickeln.
Die RDKs sind also technisch austauschbar. Wodurch unterscheiden sie sich?
Menze: Ganz genau – die Base Boards haben wir bewusst nicht für einen konkreten Use Case gestaltet, sondern so, dass sie breit einsetzbar sind. Der Unterschied besteht hauptsächlich im Mikrocontroller und den Schnittstellen. Dadurch ist jedes Board auf einen bestimmten Markt ausgerichtet: Das RDK2 ist für das Industrial IoT bzw. für Industrial Robotics. Das RDK3 hat einen Mikrocontroller mit Security-Features und Bluetooth-Low-Energy-Funktion, außerdem ist es deutlich kleiner und kompakter als das RDK2. Damit ist es ideal für IoT-Wireless-Geräte, z. B. für Smart Building, aber auch für Healthcare, wo Security eine Rolle spielt. Das RDK4 richtet sich an den Automotive-Markt, weil es einen Automotive-qualifizierten Mikrocontroller und entsprechende Schnittstellen hat. Außerdem bringt es genau die Features mit, die Entwicklerinnen und Entwickler brauchen, um kleine Motor-Control-Units für Fahrzeuge zu entwerfen.
Damit nimmt Rutronik den Kunden viel an Entwicklungs-, teils auch Forschungsarbeit ab. Das erfordert ein immenses Vor-Invest.
Mangler: Das stimmt. Wir sind jedoch überzeugt, dass wir damit den richtigen Weg eingeschlagen haben. Denn am Markt werden mehr und mehr Systemlösungen gefordert und diese bietet Rutronik künftig verstärkt an. Damit heben wir uns in der Distributionslandschaft ganz klar heraus. Dass das von Kunden und Herstellern sehr positiv aufgenommen wird, darüber haben wir ja schon gesprochen. Inzwischen verfügen wir auch über ein festes Forschungsbudget. Die Rutronik-Geschäftsführung steht also voll hinter diesen Aktivitäten. Darauf sind wir sehr stolz, das gibt es in der klassischen Bauelemente-Distribution bisher so nicht.
Menze: Das gilt auch für den gesamten Rutronik Systems Solutions-Bereich. Vor zwei Jahren sind wir mit zwei Leuten gestartet, inzwischen sind wir zu sechst. Damit haben wir nicht nur mehr zeitliche Ressourcen, sondern auch ein tolles Team mit hervorragendem Fachwissen in verschiedenen Disziplinen. Das hebt unsere Arbeit auf ein neues Niveau Wir können Entwicklungen viel schneller vorantreiben und die Lernkurve geht steil nach oben. Die Dynamik, die dahintersteckt, macht richtig Spaß!
Weitere Informationen und eine direkte Bestellmöglichkeit finden Sie auch auf unserer e-Commerce-Plattform www.rutronik24.com.
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