Elektrische Kleinantriebe im Fahrzeug - Mehr Komfort auf dem Weg zum autonomen Fahren

12.05.2021 Know-How

Autonomes Fahren soll künftig maximalen Bewegungskomfort bieten. Bis es soweit ist, sorgen viele elektrische Kleinantriebe für eine einfachere, komfortablere Bedienung. Doch wie sind sie aufgebaut, welche Anforderungen müssen sie erfüllen und mit welchen Applikationen können Hersteller ihren Kunden noch mehr Freude beim Fahren schenken?

Über 75 elektrische Kleinantriebe finden sich schon heute in einem Mittelklassewagen - Tendenz steigend. Die Elektromotoren mit einer Leistung von bis zu 100 W übernehmen z.B. die Ausrichtung der Seitenspiegel oder das Schließen der Heckklappe. Denkbar sind zudem weitere automatische Einstellungen je nach Nutzerprofil, neben den Sitzen z.B. für die Innenspiegel und Kopfstützen, oder auch gestengesteuerte Fächerklappen, z.B. für das Öffnen und Schließen des Ablagefachs.

Da die Kleinantriebe auf der 12-V-Bordnetzspannung basieren, können sie direkt an Klemme 30 (Batterie) oder Klemme 15 (nach der Zündung) betrieben werden. Sie sind auch ein Grund dafür, weshalb das 12-V-Bordnetz nicht aus dem Fahrzeug der Zukunft verschwinden wird: Ein Umstieg in diesem Leistungsbereich auf die derzeit beliebter werdende 48-V-Technologie würde hier bezüglich niedrigeren Produktions- und Entwicklungskosten heute noch keinen signifikanten Mehrwert bieten. Beachtet man aber die reduzierten Leitungsquerschnitte und Nominallastströme im 48-V-Bordnetz, die nur ein Viertel derer im 12-V-Bordnetz betragen, dann sind dies Argumente, die man langfristig in Erwägung ziehen muss.

Bei den Antrieben bis 100 W kommen bürstenbehaftete (BDC) und bürstenlose (BLDC) Gleichstrommotoren sowie Stepper-Motoren zum Einsatz. Letztere sind ideal für Applikationen, in denen mit größter Genauigkeit geregelt bzw. feinstufige Schritte dargestellt werden müssen, z.B. die Spiegelverstellung und die Anzeigenadeln der Cockpitanzeigen. BDC-Motoren werden überall dort genutzt, wo lange Lebensdauer und höhere Effizienz den Kostenvorteilen weichen müssen. BLDC-Typen sind am robustesten, aber teurer und mitunter komplexer anzusteuern.

Aufbau und Funktion der Steuerung

Bild 1 zeigt einen vereinfachten Schaltungsaufbau eines Kleinantriebs mit DC-Motor(en) mit den Hauptkomponenten Mikrocontroller, System-Basis-Chip (SBC), MOSFET-Treiber (Gate Driver) und mehreren MOSFETs. Der SBC stellt eine Kommunikationsschnittstelle mit dem Fahrzeug-Bus her, gewährleistet die passende Energieversorgung der wichtigsten Komponenten und kann Aufgaben für die funktionale Sicherheit (Watchdog etc.) erfüllen. Die MOSFETs sind jeweils in Halbbrücken angeordnet und bilden mit dem zwischengeschalteten Motor eine Vollbrücke (auch H-Brücke). Kommt eine weitere, dritte Halbbrücke dazu, ergibt sich eine B6-Konfiguration, mit der sich zwei DC-Motoren (wie in Bild 1) oder ein 3-phasiger BLDC-Motor ansteuern lassen.

Der Mikrocontroller empfängt über seine I/O-Pins die Signale der Eingabeelemente und bereitet sie als Steuerung des Gate Drivers auf. Gleichzeitig kann er Signale des Treibers auswerten, falls ein Fehler vorliegt. Die MOSFETs werden vom Treiber mit einem PWM-Signal angesteuert.

Diese Vollbrücken-/B6-Anordnung kann den Motor in und gegen den Uhrzeigersinn drehen lassen.

Ansteuerung von BDC-Motoren ...

BDC-Motoren bestehen im Wesentlichen aus der Rotorspule, dem Stromwender mit Kohlebürsten und der Statorspule bzw. dem Permanentmagneten. Die Kohlebürsten übertragen den Strom auf die Rotorspule. Durch die hier stattfindende Reibung weisen die Bürsten einen Verschleiß auf. Die Drehbewegung wird erzeugt, indem der durch den Rotor fließende Strom ein Rotormagnetfeld bildet, das sich nach dem Statormagnetfeld ausrichtet. Wird im Statormagnetfeld der jeweils entgegengesetzte Pol erreicht, ändert der im Rotor verbaute Stromwender das Magnetfeld des Rotors und erzeugt ein um 180° gedrehtes Magnetfeld. Dadurch stoßen sich die jeweils gleichen Pole ab und der Rotor-Pol wird vom entgegengesetzten Stator-Pol angezogen. Die Kommutierung geschieht also rein mechanisch. Eine Positionsbestimmung des Rotors beim Anlauf ist nicht erforderlich.

... BLDC-Motoren ...

BLDC-Motoren sind wie Drehstrom-Synchronmotoren aufgebaut und haben eine rein elektronische Kommutierung. Hier befinden sich Permanentmagnete im Rotor und die ansteuerbaren Spulen im Stator. Die Spulen sind meist im 120°-Winkel (oder Bruchteilen dazu) zueinander angeordnet und werden nacheinander, je nach Drehrichtung, angeregt. Der Rotor folgt diesem sich drehenden Magnetfeld.

Um eine übermäßige Belastung durch hohe Anlaufströme zu vermeiden, sollte vor dem Anlauf die Rotor-Position bestimmt werden. So wird sichergestellt, dass zum Anlaufen die richtige Spule angesteuert wird.

Bei der sensorbehafteten Positionsbestimmung erfassen drei Hall-Sensoren exakt das Magnetfeld der Permanentmagneten des Rotors. Diese Methode verursacht höhere Bauteilkosten und benötigt mehr Platz und Verdrahtung, ist aber einfach zu realisieren. Entsprechende Automotive-qualifizierte (AEC-Q100) Hall-Sensoren sind bei Rutronik von Diodes, Melexis und TDK-Micronas erhältlich.

Die FOC (Field Oriented Control) ist eine beliebte sensorlose Methode, auch wenn die Umsetzung der Software-Algorithmen und die Beherrschung der Transformation der Motorgrößen komplex sind.

Mit dem 3-Phasen-Embedded-Motor-Treiber (E-Power-IC) TLE9879 inklusive Eval-Kit und FOC-Beispiel-Algorithmen hat Infineon eine Antwort für sensorlose BLDC-Ansteuerungen über FOC. Durch die hohe Integration des IC benötigt man nur noch die B6-Brücke und den Motor.

... und Stepper-Motoren

Stepper-Motoren haben nur im Stator Spulen. Sie sind meist als Hybrid-Stepper-Motoren ausgeführt, d.h. der Rotoraufbau ist geprägt durch Permanentmagneten kombiniert mit einem Weicheisenkranz. Durch die gezielte Ansteuerung der Wicklungen lässt sich der Rotor um einen spezifischen Winkel verstellen. Die Winkeländerung pro Schritt hängt von der Phasenzahl des Motors und der Anzahl der Polpaare im Rotor ab; meist sind es 1,8° oder 0,9° bei einer Phasenzahl von zwei, d.h. zwei Spulen im Stator und einer entsprechenden Anzahl an Polen im Rotorkranz. Der Stepper-Motor ist relativ simpel ansteuerbar; er ermöglicht eine wiederholbare Bewegung und eine sehr hohe Genauigkeit. Weiterer Vorteil: Er benötigt kein Positions-Feedback.

Anforderungen an Kleinantriebe

Je nach Applikation müssen elektrische Kleinantriebe unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Zu den wichtigsten zählen:

ein hoher Wirkungsgrad

geringe Größe und Gewicht

geringe Geräuschemissionen bzw. eine hohe Laufruhe

Widerstand gegen Beanspruchung (Wasser, Staub, Erschütterung etc.)

unterschiedliche Betriebsarten (Dauerbetrieb, periodischer Betrieb, Kurzzeitbetrieb)

hohe Zuverlässigkeit, gerade bei sicherheitsrelevanten Antrieben

geringe Kosten

einfache Implementierung

Mit speziell hierfür weiterentwickelten ICs beantworten Halbleiter-Hersteller diese Anforderungen. So ist zum Beispiel der TB9083FTG von Toshiba als Fail-Safe Pre-Driver speziell für FuSa- (Functional Safety) Anwendungen konzipiert. Optimierungen bei der Prozesstechnologie ermöglichen kleinere Packages und weniger Materialeinsatz, wie z.B. die MOSFETs von Diodes (PowerDI3333-8) mit ca. 3 mm × 3 mm Gehäusegröße bei 40 V. Für einen höheren Wirkungsgrad sorgen geringere Ruheströme bei den Treibern sowie ein niedrigerer Einschaltwiderstand (RDSon) bei den MOSFETs, der die Verlustleistung und die Wärmebildung verringert. Zu einem einfacheren Thermomanagement tragen auch neue Gehäuse-Technologien mit Top-Side Cooling und höherer Wärmeabfuhr bei. Dadurch erhöht sich die Belastbarkeit des IC. Um Geräuschemissionen und EMI-Probleme zu vermeiden, implementieren alle Hersteller abhängig von den Treibern Funktionen wie PWM und Slew Rate Control.

Für die einfachere Implementierung in die Schaltung sind immer mehr systemrelevante Funktionen in die Halbleiterbausteine integriert. Dazu gehören die Strommessung und integrierte Current Sense Amplifier (CSA) ebenso wie Schutz- und Diagnosefunktionen, z.B. die Datenauslesung über SPI zur leichteren Zustandserkennung und Abnutzungseinschätzung. Funktionen wie Auto Restart und Latch Off ermöglichen außerdem das Überprüfen und Neustarten nach einem Fehler. Auch mit Simulations-Tools unterstützen Hersteller die Entwickler bei der Implementierung, wie Infineon mit seiner ◊Toolbox".

Verschiedene Integrationsstufen für unterschiedliche Anforderungen

Je nach Anforderungen stehen Chips in verschiedenen Integrationsstufen zur Wahl (Tabelle).

Bei einem diskreten Aufbau findet jedes Element der Schaltung seinen Platz auf der Leiterplatte. Das ist oft die kostengünstigste Variante, sie benötigt aber viel Platz und führt zu höheren Umgebungstemperaturen. Um den Platzbedarf möglichst gering zu halten, bietet Diodes eine breite Palette an dualen MOSFETs (N-Type) und Complementary (N+P-Type) MOSFETs in einem Package. Bei den diskreten Treibern hat Infineon mit dem TLE9180 ein hervorragendes Produkt, das sich in unterschiedlichen Bordnetzspannungen einsetzen lässt. Damit eignen sie sich auch für Kleinsteuerungs-Applikationen im Truck-Bereich.

Bei der mittleren Integration sind einige Komponenten in einem Baustein kombiniert. Das können MOSFETs und die zugehörigen Treiber sein, wie bei Rohms BD63035EFV-M oder beim CJ260 von Bosch AE. Infineon verbindet in seinem TLE956x hingegen SBCs (System-Basis-Chips) und die Treiber. Die mittlere Integration bietet einen guten Kompromiss hinsichtlich Platz- und Kostenbeschränkungen. Sie erfordert den geringsten Entwicklungsaufwand und bietet die derzeit beste Möglichkeit des Schaltungsschutzes. Ist der Bauraum jedoch sehr begrenzt und eine Kühlung der Leiterplatte nur mit Aufwand zu realisieren, empfiehlt es sich, noch eine Integrationsstufe weiter zu gehen.

Die Stufe der hohen Integration verbindet den Mikrocontroller mit dem MOSFET-Treiber und den Funktionen eines SBC in einem Package. Damit ist sie meist aber auch sehr unflexibel, da die einzige verbleibende Stellschraube die anzusteuernden MOSFETs sind. Dieses hochintegrierte Bauteil stammt von Infineon und wird ◊E-Power-IC" (TLE98xy) genannt. Die fehlende Flexibilität gleicht Infineon durch eine Vielfalt an IC-Varianten für Applikationen mit Halb-, Voll- oder B6-Brücken-Anforderung aus.

Die höchste Integrationsstufe bildet der Embedded-Motorcontroller HVC4223 von TDK-Micronas. Er vereint alle vier Komponenten (Microcontroller, SBC, Gate-Treiber und MOSFETs) in einem IC. Damit muss er jedoch exakt zu den Anforderungen der Applikation passen.

Vorteil der mittleren und hohen Integration sind die eingebauten Diagnosemöglichkeiten. Dazu gehören meist

OC/UC - Over-/Under-Current Protection

OT - Over-Temperature Protection

OL - Open-Load Protection

SC/SCG - Short-Circuit/Short-Circuit to Ground Protection

LD - Load-Dump Protection

Cross-Conduction Protection

Reverse Polarity Protection (meist über externe MOSFET)

Inzwischen werden auch diskrete MOSFET-Treiber mit Schutz- und Diagnose-Funktionen angeboten, z.B. mit Überstrom- (OC) und Übertemperatur- (OT) Schutz. Oft sind hierfür allerdings zusätzliche diskrete Komponenten wie PTCs (Thermistoren mit positivem Temperaturkoeffizient) nötig.

Die Schutz- und Diagnose-Features entwickeln sich derzeit zum Must-Have für Elektronikentwickler und OEMs. Denn sie ermöglichen die einfache Überwachung von Schaltkreisen. Damit stellen sie auch einen Schritt in Richtung vollautonomer, sich selbst überwachender Fahrzeuge dar.

 

Komponenten gibt es auf www.rutronik24.de.

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